Kapitel 18
Wie mein schönster Drachen stieg
Eines Tages sollte in unserer Schule ein großes Drachensteigen stattfinden. Im voraus begannen wir uns darauf vorzubereiten. Wir haben eine Mannschaft gebildet sechs von uns. Ein Mädchen war auch dabei, Luise. Ich sagte: „Mädchen sind selbst wie Drachen, aber bauen können sie keine. Wir gewinnen bestimmt nicht, wenn Luise dabei ist." Aber die anderen waren mit mir nicht einverstanden. Dann kamen die Wettbewerbsbedingungen heraus. Wie groß ein Drachen sein sollte, wann wir uns treffen würden und so weiter. Ich dachte mir: Das lasse ich mir nicht gefallen, noch Vorschriften machen. Ich baue einen ganz tollen Drachen, und dann werden sie mal sehen, wie unsere Gruppe gewinnt. Erwin war auch in unserer Drachenmannschaft, er wollte, dass wir zusammen basteln. Ich wollte das aber nicht. Ich machte zu Hause meinen eigenen. Und es wird ein ganz tolles Ding. So groß wie ein Lokomotive. Ich arbeitete vier Tage daran und malte dann solch eine abscheuliche Fratze darauf, über die ich selber erschrack, als ich eines morgens aufwachte und die grinsende Fratze in der Ecke sah. Das Ding war schwer geworden, und der Schwanz war drei Meter lang.
Der Tag des Drachenwettbewerbs kam. Als Peter, Bruno, Luise und Erwin mich fragten, was mit meinem Drachen los ist, schwieg ich in sieben Sprachen. Bruno meinte schließlich: „Alfons hat gar keinen fertigbekommen." Ich wollte ja Bruno meine Faust unter die Nase halten, trotzdem schwieg ich wie ein Grab. Er wird schon sehen, was für einen schönen Drachen ich habe. Der Wettbewerbsplatz lag nicht weit von der Stadt. Wir sollten uns an der Haltestelle treffen. Ich nahm mir noch, als ich ging, Papas Lederhandschuhe mit, damit ich den Druck aushalten konnte, wenn er hochsteigt. An der Straßenbahnhaltestelle gab es den ersten Ärger. Die Schaffnerin rief mir zu: „Benzinfässer, große Kasten und Riesendrachen werden nicht mitgenommen!" Da war ich vielleicht wütend. Ich konnte mich doch zum Wettbewerb verspäten! Die nächste Schaffnerin war viel freundlicher. Dafür trat mir aber ein älterer Herr mit seinem dicken Schuh in den Drachen. Das Papier knirschte so laut, dass alle die Köpfe wendeten und sich zu mir umsahen. Das Drachengesicht sah jetzt aus, als ob es lachte. „Sie treten mir meinen Drachen kaputt! Das ist doch nicht richtig!" schrie ich laut. „Gewinnen Sie vielleicht jetzt den Wettbewerb mit Ihren Schuhen?" Plötzlich kam die gute Schaffnerin, fing an mit mir herumzuschimpfen, und ich musste eine Station vorher aussteigen. Dass ich mir meinen wunderbaren Dreimeterdrachenschwanz beim Aussteigen auch abriss, habe ich gar nicht bemerkt. Erst später sah ich das.
Als ich auf den Drachen-Wettbewerbsplatz kam, hatten alle eine schlechte Laune auf mich. Bruno schrie mir zu: „Wir sind eine unvollständige Mannschaft... durch deine Schuld!" „Ich bin doch da", sagte ich leise, „und mein Drachen ist auch einigermaßen schön." Die Schüler aus der 10. Klasse kamen, und einer sagte zu mir: „Mit diesem Drachen wirst du nicht zugelassen!" „Nein?" schrie ich. „Bau mal einen! Ihr werdet ja aber nicht mehr lachen, wenn er auf fünfhundert Meter hoch geht!" Es gab eine große Aufregung. Sogar Lehrer kamen, und Herr Riedel, der Schuldirektor, sagte das letzte Wort. Ich wurde wirklich disqualifiziert. Ich hatte die Maße nicht eingehalten und war zu spät gekommen. Rache, dachte ich. Aber ich werde euch doch was zeigen! Und der Wettbewerb begann. Die Drachen flogen hir und her, stiegen auf und fielen wieder herunter. Ich ging an die Seite und wollte meinen Drachen steigen lassen. Aber zum Drachensteigen sind zwei nötig: einer, der zieht und einer, der den Drachen hinten hochhält. Mir wollte aber keiner helfen. Da musste ich ihn auf die Erde legen, Papas Lederhandschuhe anziehen und einfach ziehen. Der Drachen stieg nicht, war aber noch mehr kaputt als vorher. Jetzt wurde ich erst richtig wütend. Das ist Sabotage, dachte ich. Ich hängte den Drachen vorsichtig auf den Zaun und zog wieder die Schnur. Jetzt würde er wie ein Adler hochsteigen. Es ruckte ein bisschen, und ich streckte alle viere von mir. Genau vor Luises Füße. „Stör mich nicht," sagte Luise mit ihrer Fliegenstimme, „mein Drachen steigt mächtig!" und trat mir mit ihren Hacken auf die Hand. „Alte Ziege", rief ich, „deine Krähe wird nie wie ein Adler fliegen. Warte, bis ich komme!" Ich stand auf und rieb die wehe Hand.
So versuchte ich es eine gute halbe Stunde. Die Drachen der anderen stiegen, und ich wurde immer unruh ger. „Willst du jetzt endlich fliegen!" beschimpfte ich leise meinen Drachen. Und wirklich, das half. Beim nächsten Versuch merkte ich, wie der Drachen sich langsam vom Zaun abhob. Jetzt, jetzt kam endlich meine Stunde, dachte ich begeistert. „Ich komme!" schrie ich, so laut ich konnte. Alle haben den Schrei gehört und sahen mich und meinen Drachen an. Mein Drachen kam langsam hoch. Der Wind packte ihn und warf ihn hin und her. „Beiseite!" schrie ich. „Alle beiseite!" Der Drachen schüttelte mit dem Kopf, als wollte er mir nicht gehorchen, drehte sich nach rechts, und wie eine Kanonenkugel sauste er zur Seite, mitten in die anderen Drachenschnüre. „Hau ab... du bringst uns durcheinander!" schrien mir die anderen. Aber der Drachen gehorchte mir nicht mehr. Er blieb plötzlich eine Sekunde lang stehen und flog dann wie eine Rakete nach unten, genau auf die Lehrer und Schiedsrichtergruppe. „Alarm!" rief ich. „Mein Drachen kommt runter!" Der einzige, der sich retten konnte, war Herr Riedel. Er sprang beiseite. Dann gab es einen Knall, und die Schiedsrichter, drei aus der 10. Klasse und zwei Lehrer, waren von meinem Drachen begraben. Es sah wie ein Autounfall aus. Sie lagen alle lang. Einer hatte einen Arm durchs Papier gesteckt, und ein anderer, genau der mich disqualifiziert hatte, war sogar mit dem Kopf durchs Papier gestoßen. Rechts und links lagen noch ein paar Drachen.
Das war ein schönes Ende. Ich sollte weggehen. Bruno, dessen Drachen auch runterfiel, schrie mir zu: „Du bist selbst ein Drachen! Du kannst überhaupt nichts, Zitterbacke! Ich binde dich an eine Schnur und lasse dich als Drachen hochsteigen, du..." Mama fragte mich zu Hause: „Du kommst ja zu früh. Bist du traurig, Alfi?" Ich zog langsam die Lederhandschuhe ab und sagte: „Ich wäre ja fast beinahe Sieger geworden! Aber mein Drachen war zu hoch, die Schnur zerriß, und er war weg." Dann ging ich in mein Zimmer und kam bis zum Abend nicht mehr heraus. Am Abend sagte Mama zu Papa: „Denk dir bloß, Alfi wäre um-ein-Haar-fast-beinahe Sieger geworden!" Irgend etwas in ihrer Stimme hat mir dabei nicht gefallen. Übrigens hat Luise den Wettbewerb gewonnen. Ausgerechnet die!
Aufgaben zum Kapitel 18
Aufgabe 1
Prägen Sie sich folgende Wörter und Wendungen ein!
die Wettbewerbsbedingungen | условия соревнования |
den Wettbewerb gewinnen / verlieren | победить в соревновании / проиграть |
die Schaffnerin | кондуктор |
an jemandem herumschimpfen | ругаться на кого-либо |
knirschen | скрипеть |
einnigermaßen | в какой-то степени |
die Vorschriften machen | делать предписания |
ein ganz tolles Ding | классная вещь |
zugelassen sein zu Dat. | быть допущенным к |
jetzt kommt endlich meine Stunde | сейчас пробьет наконец мой час |
eine Faust unter die Nase halten | держать кулак под носом (угрожать) |
etwas durcheinanderbringen | что-либо смешать, перемешать |
jmdm. gehorchen | слушаться кого-либо |
ein um-ein-Haar-fast-beinahe Sieger sein | быть на волосок от победы |
alle viere vor mir strecken | растопырить все четыре |
die wehe Hand | больная рука |
Aufgabe 2: „Drachensalat“: In diesem Kapitel gibt es sehr viele Simplizia und Komposita mit der Komponente „Drachen“. Gebrauchen Sie diese Wörter bzw. Wortverbindungen in vollen Sätzen!
das große Drachensteigen / der Drachen / die Drachenmannschaft / der Tag des Drachenwettbewerbs / der Dreimeterdrachenschwanz / der Drachen-Wettbewerbsplatz / zum Drachensteigen / die Drachenschnüre.
Aufgabe 3: Was kann ein Drachen machen? Bilden Sie Sätze mit den folgenden Verben:
hin und her fliegen / stiegen aufsteigen / wieder herunterfallen / fliegt wie ein Adler /
Aufgabe 4: Anhand der Wörterbuchartikelregisternotizen zu den unten angeführten Wörtern, die miteinander synonymisch verhalten, stellen Sie fest, worin unterscheidet sich stilistisch ihre Gebrauchsweise!
Das Drachengesicht / eine abscheuliche Fratze / die Visage / die Schnauze / die Physiognomie .
Aufgabe 5: Was für ein Stillgriff wird in allen diesen Sätzen verwendet?
Aufgabe 6: Das Drachengesicht - die Fratze – der Schwanz – solche Vokabeln, die einen bestimmten Teil des menschlichen Organismus oder eines Gegenstandes bezeichnen, kommen in diesem Kapitel ziemlich häufig vor. Benutzen Sie diese Lexik und beschreiben Sie einen Menschenkörper!
Aufgabe 7: Was versteht man darunter? Klären Sie den Bedeutungsunterschied folgender Reihen von gleichstämmigen Wörtern!
der Wettbewerb – der Drachenwettbewerb – der Wettbewerbsplatz
die Haltestelle – die Straßenbahnhaltestelle
Aufgabe 8: Vervollständigen Sie die Sätze anhand der folgenden Verben! Achten Sie auf ihre Rektion!
sich vorbereiten auf Akk. / einverstanden sein mit Dat. / arbeiten an Dat. / erschrecken über Akk. / zurufen Dat. / sich verspäten zu Dat. / sich umsehen zu Dat. / zuschreien Dat. / treten in Akk. / treten auf Akk.
Weiterführende Aufgaben:
Aufgabe 9: In diesem Kapitel gab es viele Szenen, in denen etwas kaputt gemacht worden war. Zum Beispiel: den Drachen kaputttreten. Was hat man ja alles noch „kaputtgespielt“ ? Suchen Sie weitere Beispiele!
Aufgabe 10: Die Schaffnerin wies Alfons auf die Betragengsregeln der Fahrgäste in einem Bus: „Benzinfässer, große Kasten und Riesendrachen werden nicht mitgenommen!“. Was darf man noch nicht im Bus machen?
Aufgabe 11: Welche Rechte stehen Alfons wie einem Fahrgast zu?
Aufgabe 12: Bruno droht Alfons mit den Worten: „Du bist selbst ein Drache! Ich binde dich an eine Schnur und lasse dich als Drachen hochsteigen, du … „.
Lesen Sie die folgenden Drohfragen und kommentieren Sie sie! Worin besteht der Unterschied zwischen Brunos Drohung und den unten angeführten Drohfragen?
· „Hast du schon lange mit keiner Krankenschwester geflirtet?“
· „Kennst du das Buch „Wie wandle ich auf Krücken?““
· „Hast du schon lange nicht mehr aus dem Gipsbett gelächelt?“
Aufgabe 13: Beantwortet folgende Fragen!
Kapitel 19
Дата: 2019-03-05, просмотров: 245.